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Der Österreichische Fachverband für Turnen
(ÖFT) wurde am 26. Juli 1947 in Graz ge-
gründet. Die 60 Jahre seit damals sind KEINE durchgängige Erfolgsstory. Etwa
zur Halbzeit
irrte der ÖFT sportlich und organisatorisch im völligen Niemandsland umher.
Es war gar
nicht so einfach, aus dem Schlamassel wieder heraus zu kommen. Doch es
scheint lang-
fristig gelungen. Zurzeit zeigen alle wichtigen Entwicklungsparameter der
Turnsportarten
in Österreich mehr oder weniger deutlich nach oben. Die Anzahl der
ÖFT-Mitgliedsvereine
und deren Aktivitätsdichte wächst ebenso wie der internationale Erfolg im
Spitzensport.
Das ist sind gute Gründe zum Geburtstagfeiern.
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1.
Die Vorgeschichte:
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Turnen in Österreich gibt es
nicht erst seit 1947, sondern schon gut hundert Jahre länger.
Initialzünder war der deutsche „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn
(1778-1852), der nicht
nur das Wort „Turnen“, sondern auch Geräte wie z.B. den Barren und die dazu
gehörigen
Übungen erfunden hatte.
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Das Turnen setzte
infolge rasch – zum Teil losgelöst von Jahns (seinem Turnen zu Grunde
gelegter) deutschnationaler Ideologie, zum Teil eng mit ihr verbunden – zur
weiten Ver-
breitung durch den deutschen Sprachraum und in ganz Europa an.
Im Schulsport war
Österreich der weltweite Vorturner: Schon 1869 (!) wurde „Turnen“
(unter diesem Na-
men) als Schulpflicht(!)fach für Burschen und (!) Mädchen eingeführt.
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Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert
erlebte das Turnen im deutschsprachigem
Raum der damaligen k.u.k. Monarchie einen Vereinsgründungsboom. Die „Arbeiterturn-
bewegung“, die „Sokolbewegung“,
die „Deutsche Turnerschaft“ in Österreich,
die
„christlich-deutsche Turnerschaft Österreichs“
und bis zu einer Handvoll andere Dach-
organisationen waren untereinander allerdings nicht vernetzt. Das „Natürliche
Turnen“
als aus Österreich stammende weltweit relevante Reformpädagogik-Strömung
trug auf der
schulischen Ebene nach dem Ersten Weltkrieg maßgeblich zur vielfältigen
Ausprägung des
Turnens hierzulande bei. Aber es gab nie eine von
allen gemeinsam errichtete oder
akzeptierte Turn-Trägerplattform.
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2.
Das Grundsätzliche:
Am 26. Juli 1947 wurde der
„Österreichische Fachverband für Turnen“ in Graz gegründet,
tags darauf fand die erste Staatsmeisterschaft statt. Offizielle
österreichische Meister
im Turnen hatte es davor kurioser Weise noch nie gegeben, obwohl das Turnen
an sich
schon jahrzehntelang eine der am weitesten verbreiteten Sportarten gewesen
war.
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Der ÖFT war in den folgenden über fünf Jahrzehnten
jedoch nicht für das gesamte
Turnen zuständig, sondern nur für den (Hoch-)Leistungs- und Wettkampfsport.
Die
Freizeit-, Hobby-, Gesundheits- und Breitensportbereiche des Turnens deckten
die eben-
falls nach dem Zweiten Weltkrieg in heutiger Gestalt etablierten drei
Dachverbände ASKÖ,
ASVÖ und Sportunion ab.
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Zuerst war dies selbstverständlich (und der ÖFT de facto nicht mehr als eine
paritätisch
besetzte Leistungssport-Plattform der Dachverbände). Im Lauf der Zeit wurde
das Turnen
jedoch Zug um Zug aus seiner österreichweit dominanten Rolle als
Leitsportart heraus ge-
drängt.
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Für die Dachverbände war das Turnen spätestens um 1970 nur noch eine
Sportart unter
vielen. Sie kümmerten sich nicht mehr mit der früheren Intensität um die
Grundsportart
Turnen, auch der ÖFT tat dies (noch) nicht – und er wäre mit seiner
damaligen Struktur
von der immensen Zusatzaufgabe auch völlig überfordert gewesen.
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Über mehrere Jahrzehnte hinweg gab es deshalb in
Österreich ein unbefriedigen-
des Nicht-Zuständigkeits-Vakuum bezüglich des Freizeit- und
Hobby-Vereinstur-
nens. Den Vereinen war’s egal, sie turnten entweder weiter oder
hörten zahlreich damit
auf. Starke Initiativen auf Dach- oder Fachverbandsebene zur
Weiterentwicklung des Tur-
nens fehlten ebenso, wie ein gut abgestimmtes Aus- und Fortbildungssystem
für Lehrer
und Übungsleiter. Auch im Leistungssport bildete dies die erfolgloseste
ÖFT-Epoche, denn
man hatte die internationale Entwicklung völlig verschlafen. Beides hängt
diesem Sport
heute noch deutlich nach.
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Während zum Beispiel in Deutschland der
DTB und in der Schweiz der STV mit permanen-
tem Selbstverständnis als gesamtheitliche „Träger des Leistungs-, Freizeit-
und Gesund-
heitsturnens“ eine umfassende Strategie vom polysportiven Kleinkinderturnen
bis zum
Olympiasieger kontinuierlich umsetzten (und dabei fast pausenlos an
Mitgliedern zulegten),
wurde das Turnen in Österreich übrall und in allen Belangen weniger und
weniger…
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Vom Erkennen des Problems (Diskussionen
über das nicht Unabänderliche am Negativtrend
tauchten in ÖFT-Vorstandsprotokollen erstmals um 1980 auf) über das „sich
dafür verant-
wortlich fühlen“, über die ersten aktiven Gegensteuerungs-Maßnahmen (z.B.
Einführung
des ÖLTA-Turnabzeichens 1984) bis hin zur konsequenten strukturiellen und
organisatori-
schen Neuordnung vergingen im ÖFT gut 20 Jahre.
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Ab 1991
bekannte man sich offiziell dazu, „ganz alleine selber schuld“ zu sein:
Alle
Bezüge und Verweise auf die Dachverbände flogen aus den ÖFT-Statuten. Erst
2003 ver-
abschiedete der Verbandstag aber endlich jene Statutenänderungen, die den
„ÖFT neu“
auch offiziell mit einem neuen Leitbild als
„Komplettanbieter und Serviceleister für
den Spitzensport und alle Turnvereine in Österreich“ ausstattete.
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Noch etwas änderte sich in den
1990er-Jahren ganz dramatisch zum Besseren: Eine neue
Generation von ÖFT-Verantwortungsträgern und Trainern genügte sich nicht
mehr damit,
zu jammern, dass man im Spitzensport-Weltgeschehen per se keinerlei Chance
hat. Davor
war da (mit punktuellen Ausnahmen in der Rhythmischen Gymnastik)
jahrzehntelang völ-
lige tote Hose gewesen. Sondern man machte sich systematisch an die Arbeit –
die jetzt
(eine logische Generation später) mehr und mehr Erfolge zeitigt.
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Die ÖFT-Topsportler/innen schaffen
derzeit jedes
Jahr neue „All Time Highs“ bei den
Welt- und Europameisterschaften. Keine Spur mehr von „Nachzügler“: Die
internationale
Mittelklasse ist jetzt die Abflugbasis in noch höhere Regionen. In der
letzten Kunstturn-
Weltcupsaison gewannen drei verschiedene ÖFT-Sportler bereits Medaillen.
Doch dass es
so "leicht" ist, dauernd besser zu sein als zuvor, zeigt eigentlich nur,
dass man ganz weit
unten begonnen hat. Und dass der Gipfel noch nicht in Sicht ist. Man ist
unterwegs, aber
noch nicht am Ziel.
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Im heurigen Jubiläumsjahr 2007 geht der ÖFT
„pünktlich“ zum 60. Geburtstag einen
weiteren großen Schritt am Weg der umfassenden Strukturänderung
und Neupositi-
onierung: Die bisherige Organisationsstruktur mit acht gleichberechtigten
Sp(ortsp)arten
wird durch ein bei uns neues, anderswo bewährtes Drei-Säulen-Modell
„Spitzensport +
Vereins-/Hobby-Wettkampfsport + Wellness/Fitness“ abgelöst.
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Die Aufholjagd hat schon vor gut zehn
Jahren begonnen. Seit gut fünf Jahren gibt man ge
waltig Gas. Jetzt steht auch der konkurrenzfähige Motor zur Verfügung.
Was noch fehlt
ist der Treibstoff: Die Dotierung des ÖFT mit einem
Jahres-Gesamtbudget von derzeit
unrunden EUR 630.000,- für ALLE regulären Verbandsaktivitäten setzt leider –
obwohl sie
sich in den letzten zehn Jahren bereits fast verdreifacht hat – zahlreiche
wichtige Pro-
jekte und Aktivitäten auf die Warteliste, die inhaltlich sofort umgesetzt
werden könnten.
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Zwei ganz große
Geburtstagsgeschenke gönnt sich der ÖFT zum 60er auf alle
Fälle: Die
Welt-Gymnaestrada (das Weltturnfestival)
mit 22.000 Teilnehmern aus 58 Ländern aller
Kontinente vom 8. bis 14. Juli 2007 in Dornbirn. Sowie das „weltweit
revolutionäre neue
gesamtösterreichische Turnprogramm“, das derzeit hinter den
Kulissen finalisiert wird.
Es löst alle derzeit verwendeten Gerätturn-Wettkampfprogramme (der
Dachverbände, des
ÖTB, dreier Landesturnverbände und des ÖFT selbst) ab Jänner 2008 ab:
Erstmals in der
Geschichte Österreichs arbeiten alle mit dem Turnen beschäftigten
Sportverbände dieses
Landes (ASKÖ, ASVÖ, Sportunion, ÖTB) unter Federführung des ÖFT voll und
ganz zu-
sammen, um im Turnen gemeinsam etwas Konkretes weiter zu bringen. „So weit
ist es also
schon gekommen“… !! ;-)
Mag.
Robert
Labner
ÖFT-Sportkoordinator
Tel.
+43 676 325 42 92, labner@oeft.at |
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3.
Die chronologischen Eckzahlen:
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26.7.1947 |
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Gründung des österreichischen
Fachverbandes für Turnen in Graz.
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1948: |
Rang 9 der
ÖFT-Männer-Mannschaft bei den Olymp. Spielen in London.
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1950: |
Trude Kolar (Gollner) wird Weltmeisterin
an den Schaukelringen, Vize-
weltmeisterin am Pferdsprung und Mehrkampf-WM-Dritte. Dies sind die
ersten
und bis heute letzten WM-Medaillen für den ÖFT.
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1952: |
Rang
11 der ÖFT-Frauen-Mannschaft bei den Olymp. Spielen
in Helsinki.
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1953: |
Alle neun
Landesfachverbände für Turnen sind aktiviert.
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1955: |
Hans Sauter gewinnt Europameisterschafts-Bronze am
Pauschenpferd.
Dies ist die erste und bis heute letzte EM-Medaille für den ÖFT.
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Ab 1958: |
Kontinuierliches Einsetzen einer völligen
Spitzensportflaute. Man ver-
schläft die internationale Entwicklung (Ostblock-„Staatsamateure“,
sprich:
einsetzende Trainings-„Professionalisierung“) über Jahrzehnte völlig.
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1964: |
Bislang
letzte österreichische Olympiateilnahme im Turnen durch Henni
Parzer (Behrendt). Seit damals fehlte – wenn manchmal auch nur ganz
knapp
– stets entweder der FIG-Quotenplatz und/oder das ÖOC-Limit.
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1965: |
4.
Welt-Gymnaestrada in Wien. Über 15.000 Aktive aus vier
Kontinenten.
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1967: |
ÖFT-Mitglieder-Höchststand: 690 Vereine mit
181.848 Personen.
Damals wie heute (431
Vereine, 91.888 Miglieder) ist
der ÖFT der sechst-
größte österreichische Fachverband. Ranking 2007: 1. Fußball, 2. Tennis,
3. Skilauf, 4. Eisstock, 5. Golf und 6. Turnen. Es folgen 53 weitere.
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1968: |
Premiere der Rhythmischen Gymnastik
(damals: Moderne Gymnastik) mit
Staatsmeisterschaften im ÖFT. 1974 Umbenennung in Rhythmische Sport-
gymnastik, 1998 Streichung der „Sportlichkeit“. Diese Sparte ist im
letzten
Vierteljahrhundert die erfolgreichste des ÖFT: 3x Olympiateilnahme, EM
1984
und WM 1995 in Wien, zahlreiche WM- und EM-Finalplätze.
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1984: |
Einführung des ÖLTA-Turnabzeichens.
Es wird zum erfolgreichsten Sport-
abzeichen Österreichs: Bis heute haben über 1,5 Millionen Kinder in der
Schule
oder im Verein das ÖLTA erfolgreich absolviert!
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Ca. 1995: |
Österreich beginnt sein
Comeback in der Kunstturn-Weltszene.
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1999: |
Integration von Trampolinspringen,
Sportaerobic, Sportakrobatik,
Team-Turnen und Rope Skipping als Wettkampfsp(ort)arten in
den ÖFT.
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2003: |
„Historisches Erneuerungsjahr“: Das
neue statutarische Leitbild verankert
zusätzlich zum Leistungs- und Spitzensport auch den Hobbysport, das
poly-
sportive Kinderturnen und den Vereinsservice als
ÖFT-Aufgabenschwerpunkte.
Marco Baldauf gewinnt die erste
ÖFT-Weltcupmedaille im Kunstturnen
(Bronze am Reck in Cottbus). Bis dato folgen drei weitere von drei
unter-
schiedlichen Athlet/inn/en.
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2007: |
Der ÖFT finalisiert seine
Umstrukturisierungsphase. In Dornbirn ereignet
sich die 13. Welt-Gymnaestrada mit
22.000 Aktiven aus allen Erdteilen und
58 Ländern. Erstmals überhaupt entsteht ein von allen
Sportorganisationen
Österreichs gemeinsam verwendetes
Vereins-Gerätturn-Programm. |
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